Lange dachte ich gar nicht ans Verreisen dieses Jahr. So planbar wie noch bei meiner letzten Radreise vor zwei Jahren ist Urlaub nach langem Lockdown und immer wieder wechselnden Risikogebieten nicht. Wohin, was, wann, wie? Doch dann geht es plötzlich erstaunlich schnell: Inspiriert durch Urlaubsberichte und Empfehlungen im Freundeskreis, dazu – im Gegensatz zu anderen Regionen Frankreichs – niedrige Fallzahlen in der Bretagne, überlege ich: Gar nicht weg im Urlaub ist auch doof, hatte ich das nicht schon bei der Impfung im Hinterkopf? Als nach wie vor passionierte Freizeit-Radlerin und guten Erfahrungen mit Radweg-Reisen werfe ich einen Blick auf die Webseite, was es da so gäbe. Wie sich herausstellen sollte, war meine Entscheidung genauso gut wie kurzfristig.
Wo ist denn der Strand? Darüber muss ich heute über mich selbst lachen und schiebe es auf meine Müdigkeit nach der Anreise. Google Maps zeigt viel Strand in unmittelbarer Nähe des Hotels. Da ist aber nur Wasser. Eine Rampe zum Einwassern mit Booten und weiter draußen im Meer eine Leiter. Im Meer zwei vorgelagerte Inseln. Nirgends nur ansatzweise die Chance, an das Wasser heranzukommen. Dicke hohe Holzpflöcke zwischen Meer und Stadtmauer. Ich habe nicht weiter darüber nachgedacht, aber in den Verlängerungstagen löste sich das Rätsel. Dazu – wie generell zu Saint Malo – am Schluss mehr. Die Anreise in die Bretagne ist für mich aus dem Stuttgarter Raum ideal mit dem TGV. Nur 1 Mal umsteigen in Paris, Gesamtreisezeit 8 Stunden. Mit dem Auto ist das nicht zu schaffen und ich brauche es nicht vor Ort. Vom Bahnhof sind es ca. 1,3 Kilometer zum alten Stadtkern, in dem sich auch das Hotel befindet. Ich schiebe mein Köfferchen durch die schnurgerade Straße, während mir lautstark und eingerahmt von Blaulicht die manif (Demo) gegen die Corona-Politik der französischen Regierung entgegenkommt.
Mehr erfahren Weniger anzeigenÜber das Tor von Dinan verlässt man den historischen Stadtkern, um in Richtung der Rance-Mündung zu kommen. Wer jetzt nicht gleich den richtigen Weg findet: Ruhig bleiben! Schwieriger wird es nicht! Und es ist genügend Zeit, die erste Etappe ist nicht so lange. Der Radweg wurde sicher nicht hier erfunden. Tapfer kämpfe ich mich durch und habe den Eindruck, dass die Autofahrer doch sehr rücksichtsvoll sind. Geschafft! Und es wird erst einfacher, dann ruhig und schließlich richtig idyllisch. Die kleinen Dörfer Jouan und Saint Suliac, letzteres so reizvoll, dass ich dort einige Zeit verbringe.
Später geht es flott bergab zum Hafen von La Pommerais und die letzte Etappe auf dem Treidelpfad entlang des Flusses Rance zum Hafen von Dinan. Zufrieden nehme ich die Glückwünsche in der Wegbeschreibung zum Erreichen des Tagesziels zur Kenntnis. Zum Hotel geht es aber nochmal kräftig bergauf. Oben warten dafür mehrere Belohnungen: Ein mittelalterliches Städtchen, ein schönes Hotel mit langer, interessanter Historie und ein herrlicher Weitblick.
Zum Start geht es wieder hinunter Richtung Hafen, wo ich gestern angekommen bin. Unter dem Viadukt zweigt ein kleiner Pfad ab, der – wie ich der Beschreibung am Vorabend entnommen habe und auch gleich sehe – bei Nässe etwas Vorsicht erfordert. Es regnet natürlich jetzt. Trotz des matschigen Wegs joggen einige, andere führen den Hund Gassi und man grüßt sich freundlich. Besonders gefällt mir das kleine Dorf Léhon mit dem Kloster, das ich bald erreiche. Der dunkle Himmel und Regen an diesem Morgen gibt ihm etwas Mystisches. Danach führt ein zauberhafter Radweg direkt am Wasser des Flusses Rance entlang und jetzt kann die Regenjacke in die Tasche, denn die Sonne kommt heraus.
Mehr erfahren Weniger anzeigenSchon am frühen Nachmittag erreiche ich das heutige Ziel Combourg. Das Hotel liegt sehr schön, direkt vor dem See des Schlosses. Am See entspanne ich zunächst auf einer Bank in der Sonne. Da kommt das französische Paar, mit dem ich befreundet bin, im Camping Car die Straße entlang. Sie werden die nächsten Tage ebenfalls hier in der Gegend unterwegs sein und ich freue mich sehr darüber, dass wir uns hier treffen können. So begrüße ich sie mit meiner schicken Helm-Regen-Fahrtwindfrisur und im Outfit, das den Zustand des Weges von heute Morgen unschwer erkennen lässt.
Später, frisch geduscht, gibt es viel zu erzählen. Wir schlendern durch das kleine Städtchen und für den Abend verabreden wir uns zum gemeinsamen Essen im Hotel. Tipp: Die Küche ist sehr gut, das Ambiente sehr schön und dafür sind die dennoch Preise moderat.
Die heutige Etappe ist die Anspruchsvollste. 8.00 Uhr Frühstück, 9.30 Uhr Abfahrt, das hat sich inzwischen etabliert und bewährt. Der Start, am See vorbei in der Morgensonne ist schön. Es geht weiter in dieser morgendlichen Stimmung durch Bilderbuchdörfer wie z. B. Dingé, wo ein romantisches Schloss aus dem 15. Jahrhundert zu sehen ist. Gepflegte und blumengeschmückte Anwesen, viele Hortensien. Bretagne wie man sie sich vorstellt. Egal wem man begegnet in dieser ruhigen Landschaft, auch das professionelle Rennrad-Team, das mir entgegenkommt, man grüßt sich. Zum Picknick finde ich wieder ein nettes Plätzchen. Daran mangelt es nie. Entweder ein offizieller Picknickplatz im Grünen, oder in einem Dorf, wo es neben Bäcker und Metzger, nahe der Mairie (Bürgermeisteramt), immer schöne Sitzbänke am gepflegten blumengeschmückten Dorfplatz gibt.
Zügig ist Fougères am Nachmittag erreicht und spätestens jetzt klar, dass die Bretagne hügelig und nicht flach ist. Ein Tipp für das Sightseeing: Start im schönen öffentlichen Garten, bei der Kirche, oben im Ort, wo auch das Hotel ist. Terrassenförmig sehr schön angelegt, man hat einen herrlichen Blick und kann zum Schloss und in die Stadt hinunter gehen.
Beim Schloss unten angekommen, genießen wir heute Abend Galettes (also die aus dem dunklen Mehl) und Cidre. Der kommt hier in bauchiger Flasche und mit Korken daher, und wenn man ihn einmal probiert hat, wird einem der Cidre in Deutschland aus dem Supermarkt nicht mehr schmecken. Zum Nachtisch ein pêche-melba mit viel crème chantilly – mmmhhh...
Blick auf das heutige Höhenprofil: Moderat auf und ab, aber kurz vor Ende eine stärkere Steigung, dann flach, dann eine steilere Abfahrt. Ich bin gespannt. Es geht wieder durch typisch bretonische Dörfer und vorbei an außerhalb gelegenen, sehr edlen großzügigen Landhäusern mit ihren wunderschönen gepflegten Gärten. Nach dem Dorf Artrain fahre ich bergauf, auf dem Radstreifen parallel zur Straße. Etwas unangenehm und lange.
Mehr erfahren Weniger anzeigenOben kommt mir der Pfeil zum Picknickplatz gerade recht. Zumal schon Mittag vorbei ist. Beim Studieren der Karte stelle ich fest, dass das gerade schon dieser interessante Anstieg, der mir auf der Karte gleich aufgefallen ist, war. Ich bekomme Gesellschaft, ein Auto biegt ein. Ein Franzose und seine Mutter packen ihre Kühltasche aus. Sie sind auf dem Weg nach Saint Malo. Woher ich das weiß? Sie beobachten mich neugierig, als ich mein Rad zur Weiterfahrt sattle und wollen dann wissen, ob ich aus Nord- oder Südfrankreich komme. Ich kläre auf und wir unterhalten uns ein bisschen.
Das charmante Hotel Montgomery in Pontorson ist eine Besonderheit im historischen Gemäuer. In dem Hotel übernachtet man nicht nur, man besichtigt es auch. Ein richtiges Highlight. Bei dem äußerst zuvorkommenden Herrn am Empfang kann ich das Frühstück für morgen bestellen.
Frühstück im Garten des Herrenhauses – Romantik pur. Corona-gerecht wird mir alles portioniert und abgedeckt serviert, was ich am Vorabend bestellt habe. Von der Marmeladensorte bis zu etwas kalter Milch fürs Müsli. Welch schöner Start in den Tag. Noch etwas Muskelkater vom konditionellen Highlight vorgestern steht heute das kulturelle Highlight der Tour auf dem Programm – der Mont Saint Michel. Von Pontorson geht es 7 Kilometer schnurgerade am Flüsschen entlang zum Mont Saint Michel. Bald schon ist er aus der Ferne sichtbar. Angekommen am Fahrradparkplatz nehme ich die kostenlose Navette (Shuttle). Atemberaubend und stark besucht, habe es bereits im Winter besichtigt und bleibe nur kurze Zeit.
Die Weiterfahrt nach Cancale geht zunächst über Felder und an alten Salinen vorbei und später direkt an der Küste entlang. Sehr schön ausgebaute Radwege, knallig bunte Gruppen von Surfern und gaaanz viel Meer. Überraschend geht es nochmal weg von der Küste bergauf und dann mit herrlichem Blick hinunter nach Cancale. Hier ist es obligatorisch, Austern zu probieren. Beim Verdauungsspaziergang lässt sich erahnen, wie der Tag morgen beginnt: Steil hinauf zur Mairie von Cancale, von wo es weiter geht nach Saint Malo und wo man sich mit Wasser und Vesper für die letzte Etappe eindecken kann. Aber zuerst genieße ich bei weit offenen Fenstern den Blick über das Meer und schlummere mit seinem beruhigenden Rauschen ein.
Mehr erfahren Weniger anzeigenDass es heute mehrere Bademöglichkeiten gibt, motiviert noch mehr zum zügigen Aufbruch. Der Anstieg ist bald geschafft, aber sehr anstrengend am Morgen. Dann kommt schon gleich eine erste Pause. Die Pointe du Grouin ist erreicht. Diese kleine spitze Landzunge mit vorgelagerter Vogelinsel ist so idyllisch und schön, da muss man einfach das Fahrrad abstellen und sie zu Fuß erkunden. Zum Baden wähle ich dann die letzte Bucht aus, die in der Wegbeschreibung angegeben ist, nur noch 5 Kilometer vor dem Ziel. Es ist sonnig. Das Wasser ist Türkis, bewegt und frisch, aber nicht kalt. Der Strand gut besucht, aber kein Gedränge. Perfekter Badenachmittag am Meer. Nachdem ich die ganz nette Pointe de la Varde passiert habe, wer hätte es gedacht, ist noch mal die volle Aufmerksamkeit gefordert. Die Einfahrt nach Saint Malo beginnt. Bald fahre ich schon auf Intra Muros zu. Zu meiner Rechten – aha – der Strand. Unübersehbar, lang und schön, sehr gut besucht. Es ist Niedrigwasser. Die Inseln, die ich letzten Sonntag weit draußen im Meer sah, werden gerade von den Strandbesuchern bevölkert.
Saint Malo ist zu schade nur für den An- und Abreisetag. Die Stadt ist sehr schön. Der Strand auch, vorausgesetzt es ist Niedrigwasser. Schwimmer, Springer, Jogger und Watt-Spaziergänger – für alle ist innerhalb des Zeitfensters etwas geboten. Auch flache Bereiche für Kinder gibt es und Gruppenkurse in verschiedenen Wassersportarten werden angeboten. Ein Spaziergang auf der Stadtmauer, wobei man mit Blick auf den Hafen, das Meer und die Altstadt den gesamten alten Stadtkern umrundet, sollte man sich nicht entgehen lassen.
Sehr empfehlenswert die vorgelagerten Inseln. Grand Bé ist so schön renaturiert, man hat einen super Blick auf Saint Malo. Der französische Schriftsteller Chateaubriand ist dort begraben und man erfährt auch, warum er diesen Ort als letzte Ruhestätte gewählt hat. Wer hier die Zeit vergisst und den Rückweg bereits überspült vorfindet – Schwimmen ist wegen der Strömung lebensgefährlich und verboten – müsste dann bis zum nächsten Niedrigwasser auf der Insel bleiben. Wobei, ehrlich, es gibt sicher Schlimmeres. Das Aquarium von Saint Malo habe ich auch besucht und kann es sehr empfehlen. Man kann Tickets vorab erwerben (z. B. im Hotel), was den Vorteil hat, schnell eingelassen zu werden.
Mehr erfahren Weniger anzeigenFazit
Eine sehr schöne, abwechslungsreiche Radreise mit angenehmer Etappenlänge, die freie Zeit unterwegs und/oder am Tagesziel lässt. Übernachtungsorte und Hotels haben alle ein gewisses Etwas und sind auffallend schön ausgewählt.
Wem kann ich diese Reise empfehlen?
Anders als bei den touristisch frequentierten, bekannten Routen (z. B. der Loire- oder Bodensee-Radweg) ist man hier oft allein und auf sich gestellt. Also nicht den bestens ausgeschilderten Radweg und ganzen Heerscharen von Radfahrenden erwarten. Ich bin die Tour allein geradelt und fand sie gut machbar.Wer
• auch sonst mal ähnliche Strecken fährt, nicht nur ebene, gerade
• neben kulturellen Highlights auch ruhige bretonische Städtchen und Landschaften genießt
• das Meer mit dem Wechsel zwischen Ebbe und Flut mag, auch gerne mal badet
• wie ich meine, sich nach der sportlichen Tagesleistung eine Belohnung verdient zu haben (z. B. in Form einer französischen/ bretonischen kulinarischen Spezialität, einem sympathischen Hotel mit Flair und freundlichem Personal)...der oder die ist/sind hier absolut richtig.