Radeln wie Gott in Frankreich. Gibt es da nicht so eine Redewendung? Unsere Mitarbeiterinnen Judith und Katharina sind dem auf den Grund gegangen und haben eine Radtour von der Hauptstadt Paris bis in die Normandie unternommen. Was sie unterwegs erlebt haben, schildern sie in diesem Reisebericht. Aufgrund ihrer Erfahrungen haben wir diese Reise mit etwas verändertem Verlauf ins Programm aufgenommen.
Mehr erfahren Weniger anzeigenParis und Mont-Saint-Michel – magische Anziehungskräfte, die auf uns wirken! Und was liegt dazwischen? Vallée de Chevreuse, Vallée Eure-et-Loir, Perche und Normandie-Maine? Wir schauen uns an. Noch selten gehört. Die Neugierde wächst. Da wollen wir hin! Eine potenzielle Radtour für unsere Gäste ab 2018?
Auftrag unseres Chefs: Testen. Wir testen. Und schon sitzen wir im Zug nach Paris.
Im Montmartre Viertel nahe unseres Hotels (eine Renovierung der Zimmer könnte nicht schaden, der Blick auf den Eiffelturm kann jedoch bleiben!) atmen wir Pariser Luft ein. Ein Schnelldurchgang am Ankunftstag: die Sacre-Cœur, französische Cafés und Brasserien sowie die typischen Salons de thé, die vielen kleinen Gässchen. Etwas traurig bin ich, dass wir morgen schon wieder aufbrechen müssen, aber ich bin natürlich auch gespannt auf die morgige erste Radetappe nach Versailles.
Mit Schwung auf das Rad und los geht’s: Durch den größten Verkehr in Paris, Zeit- und Nerven raubend, vorbei an Notre-Dame und durch das Pariser Viertel Saint-Germain – und dann der Rettungsanker aus der Großstadt: Die 15 Kilometer lange, asphaltierte Coulée Verte ab Gare de Montparnasse bis Massy. Ein Stückchen Grünzone und Ruhe – nur für Fußgänger und Radfahrer, endlich. Da nehmen wir auch einige Straßen- und Bahngleisüberquerungen in Kauf, die unser Tempo bremsen. Immer wieder fragen wir uns: Ist das der richtige Weg? Dann endlich die ersten Radwegschilder in Richtung Versailles. Plötzlich fällt die ganze Anspannung von mir: Das Schloss von Versailles. Riesig und majestätisch liegt es vor uns. Fast beeindruckender finde ich seine weitläufig akkurat angelegten Gärten. Verschiedenste Springbrunnen und klassische Musik aus Lautsprechern führen mich in die prunkvolle Zeit des Sonnenkönigs.
Ein Kinderspiel im Vergleich zum Vortag ist der Wiedereinstieg in den Radweg in Versailles. Die Radetappe durch das Vallée des Chevreuse der Ile de France erweist sich dagegen als herausfordernd: Asphaltierte Landstraßen mit steileren Anstiegen zu den Dörfern müssen bewältigt werden. Belohnt werden wir mit den für diese Region typischen hübschen Steinhäusern und kleinen, einladenden Kirchen. Ein kühlender Waldabschnitt durch den Wald von Rambouillet in der heißen Mittagssonne. Die Etappe zieht sich. Ein zehn Kilometer langer Abstecher zur Abbay de Cernay ist kräftemäßig für uns beide nicht mehr drin. Da kommt uns das auf der Strecke liegende Château von Rambouillet mit seiner sehr schönen Parkanlage für eine Verschnaufpause gerade recht. Vorbei am netten Dorf Epernon führt der Weg schließlich nach Hanches zur Unterkunft, einem typischen maison d’hôtes. Wie eine Sonnenkönigin fühle ich mich in diesem ländlichen Anwesen mit gepflegter großer Parkanlage und sogar mit Swimmingpool! Gekrönt wird dies durch einen sehr herzlichen Empfang der Gastgeberin und einem 4-Gänge-Menü. Da ist es gerade gut, dass es in Hanches keine weitere Essensmöglichkeit gibt.
Lob auf das GPS-Gerät, das wir vorsorglich mitgenommen und eigens mit den GPS-Daten bestückt hatten, die wir auf der Website der Veloscenie-Fernradroute gefunden hatten. Es hilft uns (und es sollte nicht das letzte Mal sein) vom Hotel auf den Radweg im königlichen Tal der Eure-et-Loir. Radwegschilder suchten wir dort nämlich vergebens.
Mehr erfahren Weniger anzeigenEin erster Hingucker ist das Wasserschloss von Maintenon, Wohnsitz der heimlichen Geliebten von Ludwig XIV. Die königliche Atmosphäre liegt spürbar in der Luft. Die reizvollen Gärten spiegeln die lustvolle Zeit wider, das nie fertig gebaute Aquädukt erinnert an das damalige Projekt, die Gärten von Versailles zu bewässern. Etwas enttäuscht sind wir beide vom zweiten Highlight dieser Etappe. Im kleinen Chartres wirkt die berühmte Kathedrale Notre-Dame vielleicht dominierender als sie in Wirklichkeit ist. Ja, okay, die bekannten Glasfenster, die Unversehrtheit der Kathedrale und die Hochgotik machen die Kathedrale zu etwas Besonderem. Wir schauen sie uns an und weichen so der heißen Mittagssonne aus. Ab Chartres geht es auf Landstraßen, an Hauptstraßen entlang, überwiegend durch offene Felder weiter nach Illiers-Combray. Die Etappe zieht sich. Wieder einmal. Motivierend: Die Perche und die Normandie lassen ihren ursprünglich ländlichen Charakter erahnen, den wir in den nächsten Tagen hautnah erfahren dürfen. Das Marcel Proust gewidmete Museum in Illiers-Combray, unserem Übernachtungsort, passt zu meinen Gedanken: A la recherche du temps perdu – Auf der Suche nach der verlorenen Zeit mit dem Zusatz: du Perche – der normannischen Perche-Landschaft. Ich schlafe zufrieden ein.
Die Abteikirche mit ihrem Klostergarten in Thiron-Gardais aus dem 12. Jahrhundert: Das Willkommenstor der Perche. Auf dieser Strecke müssen wir wieder kräftig in die Pedale treten, jedoch wirkt die Landschaft trotz allem wohltuend auf mich.
Mehr erfahren Weniger anzeigenAbwechslungsreich fahren wir auf Landstraßen, durch Dörfer mit kurzen Anstiegen und etwas längeren Abfahrten. Plötzlich vor uns ein Schloss in Privatbesitz und ein beeindruckender Kirchturm am Wegesrand, dann eine Fahrt durch angenehm kühlere Waldabschnitte. Das Schloss St. Jean von Nogent-le-Rotrou mit seiner mittelalterlichen Festungsanlage ist eine willkommene Pause. Im Schloss lernen wir Geschichte und Künstler der Perche kennen. Dann eröffnet sich vor uns das normannische offene Land: Die ersten grasenden weißen Kühe und von Heuballen geschmückte Wiesen. Und windig ist es hier. Die Luft wird merklich rauer und frischer. Macht nichts. Das macht die längeren Abschnitte bergauf erträglich. Und bergab erst! Es rollt. Die Strecke ist gut ausgeschildert, überwiegend asphaltiert. Jetzt bin ich gefühlt richtig angekommen. In Villeray erwartet uns ein 4* Hotel. Sehr herrschaftlich. Unterwegs gab es keine Einkehrmöglichkeiten. Das hervorragende 4-Gänge-Menü schmeckt umso besser. Und der französische Käse erst! Eine Riesenauswahl rollt an unseren Tisch. Zum Dahinschmelzen!
Die Voie Verte, die französische Bezeichnung für offizielle Radwanderwege (dt. Grüner Weg) führt uns bis Alençon. Circa 70 Kilometer lang. Mit dem Auge fast nicht zu sehen, die Beine jedoch merken es: Manche Teilabschnitte der Voie Verte sind leicht ansteigend. Der kiesige Untergrund mit Baumwurzeln hier und da erschweren das Radeln. Geschützt fühle ich mich durch die Bäume, die sich von rechts und links über mir zusammenschmiegen. Aber auch die Tiere fühlen sich hier im Regionalpark Normandie-Maine wohl: Abwechslung bieten mir ein scheues Wiesel, ein trottelnder Dachs, hüpfende Hasen und ein Reh auf der langen, überwiegend geraden Strecke. Ich erhasche Blicke auf die Weidelandschaft mit Pferden, Schafen und Kühen in allen Farben: weiß, braun, schwarz-weiß. Rémalard, bekannt als Künstlerstädtchen, kann mit den Tieren nicht mithalten. Erst Alençon, die Stadt der Herzöge mit Schloss, Landsitzen, der Basilika Notre-Dame und seinem Altstadtkern ist wieder eine sehr nette Abwechslung.
Ich wusste nicht, dass ein kräftiges und entspanntes Radeln zusammenpasst. In der Normandie schon. Meine Beine haben sich an die teilweise längeren Anstiege gewöhnt, mental bin ich nun auch vorbereitet. Spaß machen natürlich auch die Abfahrten. Das täglich lange Radfahren gehört einfach zu dieser Region dazu, um die Landschaft, die Dörfer, die Steinhäuser und die Schlösser in seiner Gänze zu erleben. Auf dieser Etappe das Schloss Carrouges zum Beispiel. Eines der größten der Normandie, eingebettet in Wassergräben, markant der rötlich gefärbte Backstein, auffallend die Gärten. Dann geht es in vertrauter Weise weiter auf asphaltierten Radwegen, durch Weidelandschaften und Dörfer mit Abfahrten und leichten Anstiegen. Die Radweg-Schilder führen einen fast immer zuverlässig. Noch einmal ein letztes Auf und Ab durch einen überwiegend asphaltierten und geschützten Waldabschnitt, dem forêt des Andaines. Dann erreichen wir Bagnoles de l‘Orne, ein Thermalort aus dem 19. Jahrhundert mit zahlreichen Villen der Belle-Epoque. Viel wichtiger aber: Mein erster Galette und ein salade de chèvre! Lecker!
Durch Wald geht es angenehm auf Asphalt weiter bis Domfront. Sehr schön mit Altstadtkern und einer Schlossruine. Hier ist die einzige Einkehr- oder Einkaufsmöglichkeit bis St. Hilaire. Sehr motivierend: Die ersten Schilder zum Mont-Saint-Michel stehen schon da! Durch die leichten An- und Abstiege schwingt man mit der hügeligen normannischen Weidelandschaft mit. Treue Begleiter sind dabei: Kühe, Ziegen und Schafe sowie die bereits vertraute Voie Verte – trotz Regen dieses Mal einwandfrei zu fahren auf asphaltiertem oder auf festem Kiessand – bis Saint Hilaire du Harcouët. Der Ort ist nicht schön, aber egal. Morgen ist es soweit: Der Mont-Saint-Michel ruft!
Das Ziel ist so nah und doch so weit. Wie viele Kilometer sind es denn nun noch bis dahin? 38 Kilometer? 50 Kilometer? Die Schilder spielen verrückt. Nach ein paar Kilometern verlassen wir die Voie Verte. Wir folgen ausgeschilderten Landstraßen. Es ist wieder einmal ein Auf und Ab. Dann, auf einmal und kaum zu glauben, taucht er ganz weit hinten am Horizont auf. Der Weg dorthin täuscht jedoch. Zu sehen ist der Mont-Saint-Michel immer wieder, die Radwege jedoch scheinen ihn tausend Mal zu umkreisen. Mal ist er näher, dann wieder weiter weg. Und dann tatsächlich, nach insgesamt 50 Kilometern ist es soweit. Einsam sah der Mont-Saint-Michel von weitem aus, von nahem sehen wir das Gegenteil: Menschen sind auf ihm, in ihm und rings um ihn auf dem Wattenmeer. Die schwarzbeinigen Schafe scheint dies nicht zu stören. Sie gehören zum Bild dazu. Im Vergleich zu den Tagen davor ist es am windigsten hier. Und es wird immer bewölkter. Die ersten Regentropfen fallen. Wir gehen ins Kloster und schauen uns Empfangsraum, Speisesaal der Mönche, Gebetsräume und etliche weitere Säle von innen an. Dann Dauerregen. Der Wetterbericht hat recht gehabt. Wir ziehen die Regenklamotten an und radeln schnell die 10 Kilometer im Regen auf kiesigem Weg nach Pontorson, unserem Übernachtungsort. Nur das Ankommen zählt. Mit einem Kir Breton feiern wir den Mont-Saint-Michel, die Radtour, unseren sportlichen Erfolg.
Am nächsten Tag bringt uns ein etwas verspätetes Taxi zum Bahnhof nach St. Malo. Mit dem TGV geht es nach Hause. Zwölf Stunden sitzen! Ein Albtraum für meine Beine nach insgesamt 500 Kilometern. Und wir wissen beide: Die nächste Frankreich-Radtour kommt bestimmt!
Mehr erfahren Weniger anzeigenSportlich unterwegs:
Aktives Radfahren sollte man mögen und sich nicht vor langen Etappen bis zu 75 Kilometern scheuen. Wer sich Paris mit Notre-Dame, das Versailler Schloss und den Mont-Saint-Michel als UNESCO-Welterbestätten in Ruhe anschauen möchte, sollte dort unbedingt Zusatznächte einplanen. Ansonsten reichen Zeit und Energie für Besichtigungen nicht aus.
Landschaftlich reizvoll:
Der ländliche Charakter mit seinen regionalen Naturparks wie das Vallée de Chevreuse, die Perche und die Normandie-Maine entfaltet sich auf den insgesamt 500 Kilometern immer mehr. Der größte Teil der Strecke verläuft auf wenig befahrenen Straßen und ab der Hälfte der Tour sind die Radwege überwiegend ausgeschildert. Trotz allem ist ein GPS-Gerät sehr empfehlenswert, da genau an den Stellen, wo ein Schild sinnvoll wäre, dann doch keines steht…